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Monlevade, den 7. Dezember 1954

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Liebe Elly! Liebe Bomi! Lieber Roby!

Brief Nummer 31 ist heute hier eingelaufen und ich habe mich gefreut, ganz besonders liebe Elly, das ausser etwas Juckreiz dein Bein wieder geheilt ist. Wenn man Jahre lang so geplagt ist und es tritt dann eine Besserung ein, so ist es doch ein grosser Segen. Die Schwellung über der Fussspanne ist bei mir auch etwas zurückgegangen und ich rechne damit, dass in ein paar Tagen alles vergessen ist. Wir wollen Gott danken für diese Genesung und bitten, dass Er uns gesund erhält und vor weiterem Nebel bewahrt.

Gestern war der Himmel noch dunkel-blau und heiss war es, doch in der Nacht hat das stark abgekühlt. der Himmel ist heute bewölkt und es sieht aus, als ob wir noch Regen bekämen und die Sphäre ein grosser Segen. Wir hatten schon damit gerechnet dass der Regen ausbleiben würde und noch mal soll es hier im Dezember mit nur wenigen Unterbrechungen regnen.

Gestern war St Nikolaustag. Am 5. Dezember abends war ich zur Familie Engel gepilgert und hatte für die beiden Kinder Bonbons mitgenommen.

Die Eltern waren abwesend und nur die Haushelferin Maria mit den Kindern anwesend.So hatte ich die Freude den Kindern eine Kleinigkeit vom Nikolaus zu überreichen und dann stolzte ich zum Klub. Nikolaus-Fest kennt man hier nicht. Hier gibt es nur “Natal” d.h. Weihnachten.

Im Club sass ich mit 4 Garçons am Bar-Tisch, trank eine Flasche Bier und pilgerte dann nach Hause.

Im Klub konnte nicht viel Betrieb sein, denn die meisten Herrschaften sind zur Zeit in Sao Paulo, wo ein grosser Kongress der brasilianischen Ingenieure stattfindet. Am Samstag Abend fand bereits in Belo Horizonte eine Sitzung zu Ehren von Herrn Scharlé statt. Ich hätte zu dieser Sitzung kommen sollen, doch gut ich auf meine Anwesenheit zu verzichten, wegen der Strapazen. Die Konferenzen dauern eine ganze Woche in Sao Paulo und vom Walzwerk ist Herr Heuwert aus der “tuberie” mitgefahren, eigentlich mit geflogen, denn die Fahrt ging von hier mit Flieger nach Belo und von Belo mit Flugzeug nach Sao Paulo. Von Belo Horizonte habe ich vorerst die Nase dick voll und noch einmal mit Auto oder Schienen-Auto dorthin, das kam nicht in Frage. Ich musste zuerst meinen geschwollenen Fuss kurieren und das ist mir bis auf ein Minimum geglückt.

Am 4. Dezember ist hier in Monlevade die Feier für das 25 jährige Dienstjubiläum vom Herrn Scharlé d.h.eine ganze Reihe von Feiern. 1). Messe. 2). Dechant-Weihe 3). Einweihung eines neuen Ofenhauses. 4). Grundsteinlegung für a) Gymnasium b) Kirche in Villa Tank (Tanque) 5). Herr Scharlé wird mit dem zur Wahl stehenden Präsidenten von Brasilien Juscelino Kubitschek heute Gouverneur von Minas einen 7 Jahre alten Eukalyptus Fällen, erste Frucht der vor sieben Jahren begonnenen Aufforstung zur Holzkohlengewinnung. 6). Schurasko [Churrasco] in Andrade (Spiessbraten).

Ein Stück Fleisch am Spiess im offenen Feuer gebraten. Das Fleisch ist mit einer besonderen Brize durchtränkt, Rindfleisch 

(-->Kalbfleisch wollte ich zuerst schreiben, doch solches gibt…[Page _101]), Schweinefleisch oder Hammel oder Poulet wird hierfür verwandt, eine Spezialität der Brasilianer und erinnert an Karl May, wie die Buschmänner hausten.

es hier in Brasilien nicht. Der Brasilianer sieht das Schlachten eines Kalbes als ein Verbrechen.

Um 4 Uhr rechnet man damit, dass alle Gäste abkratzen und Abends geht die Volksbelustigung los. Ball auf dem Marktplatz, Ball im Ideal-Klub, Ball im Sozial-Klub, und dabei soll es Tonnen geben. Ich sehe schwarz!

Die ersten vier Dezembertage waren me. Die Rev. St.(?) hat 4 Tage gestanden, da das Stahlwerk keine einzige Brammen-Kockille mehr hat für 600er Bänder.

So eine Innung wie hier, die findet man so leicht nicht wieder. Hat man Löffel, dann keinen Brei etc.

Ich bin immer noch am Grübeln, wie ich hier einmal 20.000 Tonnen im Monat Walzen soll?

Die Innung ist unzufrieden, da das Leben teuer geworden ist. Siehe Dollarkurs!

Ich bin gespannt, wie Herr Scharlé im Januar sich die Verbesserung der Gehälten gedacht hat.

Liebe Elly!  Du siehst an meinen Zeilen, dass so manches ganz anders ist, wie zu Hause. Das Feste feiern geht jetzt noch sehr gemässigt vor sich. Früher soll dies ganz toll gewesen sein. Was muss Herr Ensch sich gedacht haben, als er 1951 oder war es 1952 auf dem Messe-Gelände unserer Uhren-Verteilung bewohnte. Hier floss Whisky und Champagner in Tonnen und zu Hause Bier! Hier wurde vom Feinsten aufgetischt und bei uns Kartoffel-Salat, zwei Würstchen und Aufschnitt und trotzdem war es bei uns auch schön. Mit einem Kater hörte es auf und Vorwürfe meiner Elly. Hier genügte der Kater und die Bergpredigt wahrscheinlich nicht, hier gab es noch grosse Rennen zum W.C.

Du fragst mich, ob es hier in Monlevade einen Damenfriseur gibt? Ich glaube nicht. Hier herrscht Wild-West.

Die Damen sind jedoch gar nicht so übel frisiert und ich muss einmal Erkundigungen einholen, wie diese Arbeit erzielt wird.

Seit Tagen bin ich wieder von Flöhen verfolgt. Jagd und wieder Jagd, wo das Zeug nur alle herkommt? 

Liebe Elly! In deinem Schreiben sind erwähnt. Sterbefall von Zahnarzt Decker, Vater von Frau Chomé. Mit 14 oder 15 Jahren hat dieser biedere Herr mir die ersten Zähne plombiert und die Plomben sitzen heute noch. Für Frau Chomé muss dieser Verlust in dieser kritischen Zeit, sehr, sehr hart gewesen sein.

Der Fall von Frau Fischer ist auch schwer und ich wünsche dass Frau Fischer eine Umgebung findet, welche etwas Sonne in den Alltag hinein bringt, denn so alleine Hausen und stets grübeln über die Schicksalsschläge, das ist auch entsetzlich.

Es bleibt jedoch immer mit wenigen Ausnahmen richtig. Eine Mutter bringt es fertig, ein Dutzend und mehr Kinder zu erziehen und zu ernähren, doch genau so viele Kinder bringen es nicht fertig für eine Mutter zu sorgen. Es ist dies eine Lebensweisheit, welche ich früher immer gehört habe und welche ich in der Beobachtung vielfach bestätigt fand. Die Ausnahmen dieser Lebensweisheit gefallen mir jedoch besser.

um einer Mutter helfen zu können, da muss man arbeiten können, egal was und das ist Grundbedingung. Ich schliesse nun für heute und beantworte Brief Nummer 25 später.

Liebe Elly! Recht schönen Dank für deine Zeilen und einen dicken Kuss für Dich.

Grüsse und küsse für Bomi und Roby

Emile

P.S. Ich füge 2 Ausschnitte aus der Sitzung von Belo bei.