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Monlevade, den 28. Februar 1955

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Liebe Elly! Liebe Bomi! Lieber Roby!

Wir haben Bruch gehabt. Unsere Sack-Schere an der Blockstr zum Schneiden der Blooms ging nicht mehr auf noch zu. 2 Tage vorher hatte man mir mitgeteilt, dass die Schere in einem schlechten Zustand wäre. Die Unterhaltung sämtlicher Maschinen im Walzwerk gehört nicht wie bei uns zu Hause dem Maschinenbetrieb, sondern ebenfalls den Obliegenheiten das Walzwerk-Chef. ordnete daher sofort an, dass alle Teile der Eingeweide diese Schere bestellt werden sollen, damit an Ostern der Umbau erfolgen sollte. Am 16. auf Nachtschicht sassen wir fest. Beim Ausbau der Schere sollten mir die Haare zu Berge stehen. Solche ruinierte Schere hatte ich noch nicht gesehen. Sämtliche Verschleissplatten ruiniert. Gebrochene Bolzen, welche in ovalen Löchern drehten. Ganz schrecklich!

Mann wollte nach alter Methode alle Teile wieder so einbauen, damit die Schere auf dem schnellsten Wege wieder laufen sollte und dies liess ich nicht zu.

Herr Rodrich war ganz erstaunt, dass dem so war und  wunderte sich eigentlich noch mehr darüber, dass ich mich für einwandfreie Arbeit einsetzte, das hätte bis jetzt noch keinen Chef getan. Jagd, Reise nach Belo und bei der Rückkehr hatte man gefragt, wie die Arbeit sich abgewickelt hätte.

Doch ohne reserveteile war meine Forderung eigentlich unmöglich.

Nach einem Anruf an Herrn Scharlé mit Schilderung des Zustandes der Schere und dass dieselbe erst am Ascher-

Mittwoch wieder laufen könnte, begann dann das Rennen. Alles Fehlende musste die Werkstatt liefern. Verschliessplatten? Woher nehmen? In Elektro-Magazin fand ich zwei Messungplatten 1200 x 800 x 10 und die mussten herhalten.

Am Aschermittwoch lief die Schere wieder!

 Mit heute geht der Monat Februar zu Neige. Wir werden 10.000 To auf der Blockstrasse und 10800 To fertige Ware zusammen gestohlen haben. Es war ein harter Monat. Doch was lag alles zwischen meinem letzten Brief und diesem?

Eine lange Spanne, wo ich meine Schriftwechsel versäumte. Liebe Elly! Bitte nimm diesen Brief als Entschädigung, denn er wird sehr, sehr dick ausfallen.

Drei Briefe möchte ich zunächst beantworten.

Nr 45 mit den Schneeglöckchen und 44 mit dem Auto. Die Schneeglöckchen aus 10 cm Schnee haben mir eigentlich mehr Freude bereitet und erst Recht, die damit verbundenen Küsse. Herzlichen Dank! Liebe Elly! meine Freude war so gross dass ich dieselbe nicht allein tragen konnte und so habe ich vielen meinen ersten Frühlingsgruss gezeigt und die werden, wenn nicht zu materialistisch eingestellt, auch Freude an den zwiersten Blümchen aus Europa gefunden haben. Man nennt Brasilien eigentlich das Land der Blumen, doch dem ist nicht so. Man sieht hier nur Rasenteppich, doch Blumen keine, auch nicht in freier Natur. Die Menschen haben hierfür keinen Sinn. Obstbäume gibt es auch keine. Alle essen gerne Obst, doch keiner denkt solches zu pflanzen. So findet man auf der ganzen Linie nur kalte Duschen, welche dafür sorgen, dass das warme Land und Klima uns Europäer hier nicht warm werden läss

Wir sind zur Zeit in der zweiten Regenperiode Zeit das Anpflanzen, denn Ende Februar bis Mitte März soll es noch viel regnen. Vergangene Nacht musste ich sogar zu dem Betttuch noch eine Wolldecke nehmen, denn als ich um 2:30 Uhr wach wurde, verspürte ich etwas Kälte. Koks braucht man hier jedoch keinen Punkt zu Hause scheint jedoch wieder Winter zu sein und wegen der Koksfrage, liebe Elly! Nur nicht zaudern, Portemonnaie aufmachen und für die notwendigen Kallorien gesorgt. Es wäre unverzeihlich, wenn Ihr wegen ein paar Kröten zu Hause Kälte leiden würdet oder dabei noch Grippe oder sonstige Erkältung einheimsen würdet.

Wegen der Gartenarbeit, da teile ich ganz deine Meinung doch nur unter einer Bedingung.  Herr Petit soll Dir für die schwere Arbeit Personal zur Verfügung stellen. Rufe Herrn Petit an und wenn ohne Erfolg, so teile mir dies mit. Wenn keine Hilfe geleistet wird, dann werde ich schreiben.

Damit ich nicht vergesse. Einen Waschkessel musst Du mitbringen, denn so etwas gibt es in Brasilien nicht. Hier wird die Wäsche im Kochtopf gekocht.

Ich habe geschrieben: “So wenig wie möglich mitbringen.”

Herr Direktor Hein sagt: “So viel wie möglich mitbringen.”

Diesen Punkt zu klären, damit möchte ich in diesem Brief nicht beginnen, da ich noch so vieles beantworten und berichten möchte.

Nik Zewen’s Sturz? War die schlechte Beleuchtung Schuld, oder der angeheiterte Zustand? Wenn letzteres der Fall war, so kann ich nur sagen: “Nicht mehr trinken, wie man vertragen kann!” Jeder hat seinen Schutzengel!

Unser Armenio war über die Karnavalstage [carnaval] nach Belo gefahren. Hier in Brasilien da gibt es einen bösen

Karneval-Artikel genannt “Lançe perfum” [lança perfume].

Die Europäer trinken ein oder auch mehrere Glas Bier. Die Brasilianer trinken sehr, sehr wenig.

Als Karnevalscherzartikel gibt es Masken, Luftschlangen, Konfetti, Gummibälle und Klatschen auch Blasinstrumente. Hier in Brasilien genau so ohne Gesichtslarve und zusätzlich “Lance perfum” [lança perfume] d.h. einen mit Aeter oder Clor-Aethil gefüllte Blechflasche wie aus gold glänzend mit einem Hebelventil als Verschluss. Die Flasche ist etwa 15 cm lang und hat 5 cm Durchmesser. Die innere Flüssigkeit leicht verdampfend hällt die Flasche dauernd unter Druck. Drückt man auf dieses Ventil, so spritzt die Flüssigkeit im Strahl im Hals, Gesicht oder Rücken und bewirkt eine starke Abkühlung der getroffenen Stelle. Wenn der Strahl ins Auge trifft, so bewirkt dies auf Sekunden unheimlichen Schmerz.

 Die Regierung hat diesen Karneval Scherzartikel verboten doch kein Mensch, Hersteller wie auch Anhänger kümmert sich um dieses Verbot. Weshalb dieses Verbot?

Aether ist ein Rauschgift und jedes Jahr vergiften sich Tausende an diesem Zeug im “Lancé perfum” [Lança perfume]. Genau so Armenio!

Im Ideal- und Sozialklub, das Springen Männlein und Weiblein im Kreis während vier Tagen von abends 20 Uhr bis morgens 3 Uhr und Trinken keinen Tropfen Alkohol, doch alle sind wie rasend. Weshalb?

Eine kleine Dosis, von diesem Aether in den Hals gespritzt oder vom Taschentuch durch Mund und Nase eingeatmet wird konzentrierter, wie jeder Alkoholgenuss.

An Karneval ist der Genuss an alkoholischen Getränken so gering, dass die Wirte fast verzweifeln könnten, wenn nicht der Verkauf von diesen Gasflaschen wäre.

Die Gasflaschen sind an und für sich ein harmloser Artikel, wenn die Sucht nach dem Inhalt für schwere Geister nicht bestehen würde und Armenio wurde zur Heilung in eine Anstalt eingeliefert. wahrhaftig eine niederschmetternde Angelegenheit, denn so etwas darf einem intelligenten jungen Mann mit hoffnungsvoller Zukunft nicht passieren. Erst Recht trostlos für Vater und Geschwister, welche ein Leben voll Arbeit für dieses Studium aufgewandt haben.

In dem Herz von Nik sehe ich noch ein Wollen seines Schutzengels und Du wirst meine Ansicht für die Zukunft bestätigt finden. Nik Wird in Zukunft nicht mehr trinken, wie er vertragen kann und für viele der Innung eine Lehre sein.

 Bertram hat von Aachen ausgeschrieben, erwähnt am 1. Februar jedoch noch nicht, dass die Mutter so schwer erkrankt ist und schildert um die geplante Lage zwischen Ost und West d.h. Kampf zwischen K und K und Diktatur Schenk auf der T. H. Aachen mit Lobeshymne für Oelsen und Clausthal.

Liebe Elly! Richte bitte Frau Frisch einen schönen Gruss aus mit dem Wunsche einer baldigen vollständigen Genesung. Haferschleimsuppen wird Frau Frisch noch lange genehmigen müssen, denn dies ist das einzige Mittel diesen Uebel Herr zu werden. Herrn Frisch wünsche ich, das Frau und Mutter recht bald wieder in dem schönen heim im Gaswerk nach dem Rechten sehen kann. 

Und nun möchte ich auf Roby’s Brief zurückkommen. die Entrüstung hat mich gefreut. Recht so! Wenn man angegriffen wird und das mit Unrecht, dann muss man sich wehren. Ich ziehe hiermit alle meine Zweifel zurück und bitte Dich lieber Roby: “Nur das eine fest-

Halten: “Deine Eltern bleiben stets deine besten Freunde, welche auch in der schwierigsten Lebenslage zu Rate stehen.” Noch eine kleine Geschichte aus meinem Leben: “In der Volksschule 6. Schuljahr wurde der Schüler Henri Reding mit dem Fuss in das Schienbein getreten. Reding lag 10 Tage zu Bett und ging später am Stock. Der Kehrer Rolling suchte Geständnisse durch Prügel zu erzwingen. Alles blieb dicht, da niemand etwas gesehen hatte.

 Der Schuldige würde nie ermittelt und der Junge konnte gleich wieder laufen wie ein Hase. Trading waren damals in schlechten finanziellen Verhältnissen und man suchte nach dem Vater, welcher die Schulden decken sollte. Den Rest kannst Du Dir denken. Enfin passons…

Besten Dank für die lieben Zeilen von Bomi und ich bin froh, dass wieder vollständige Genesung eingetreten ist.

 Mein Bein macht mir keine Sorgen und hierbei hat nach meinem Ermessen ganz besonders der oder die beiden Dr Scholl Gummistrümpfe beigetragen. Liebe Elly! Bei nächster Gelegenheit darfst Du mir noch ein paar dieser Strümpfe besorgen. Ausserdem sind wir jetzt Autobesitzer, übrigens eine Errungenschaft, um welche wir hier sehr stark beneidet werden, denn es ist der Wunschtraum einer jeden Familie hier in Monlevade, solch ein Vehikel zu besitzen.die Gründe dazu habe ich weidlich beschrieben. dennoch werde ich viel zu Fuss laufen müssen, die Körperfülle wird dies verlangen. Heute sagen sie noch Monni zu mir und es darf nicht zum Monni Bauch kommen.

Roby verlangt technische Daten, doch was kenne ich von so einem “Automovel”.

Liebe Elly! ich verstehe schon dass diese Auslage Dich weich

Stimmte und unser Bestreben war immer zuerst ein Haus unser zu nennen, bevor an ein Auto gedacht wird, doch hier in Monlevade, da ist ein Vehikel notwendig. Bleibt jetzt die weitere Sorge des Transportes und der Einfuhr.

Brief Nr 43. am Aschermittwoch Nachmittag erschien Herr Speller wieder im Büro mit schönen Grüssen von meiner Elly, dazu eine Packung Maryland Zigaretten und einer schönen herrlichen Krawatte. Besten Dank und einen dicken Kuss.

Ja einem Hochzeitsgeschenk für das junge Brautpaar hat es nicht gefehlt.

 Auf den Pullover bin ich gespannt, den werde ich gut bei dieser eisigen Kälte hier gebrauchen können. Doch nein, es gibt zwei Möglichkeiten der Verwendung. Nach dem Tennisspiel nass geschwitzt und wenn wir einmal Wintersport treiben. Beides muss ich jedoch zuerst noch lernen. Doch Spass beiseite! Liebe Elly! Ich danke für Dein Weihnachtsgeschenk und werde ab Mai gebraucht davon haben, denn dann werden am Morgen und am Abend Wollsachen getragen. Viele laufen jedoch das ganze Jahr nur mit Hemd und Hose, das sind die ganz hart gesottenen.

Du fragst mich, ob beim Lok Sturz Menschenleben zu beklagen sind. Ich glaube ja, doch hier in Brasilien, da zählt ein Menschenleben so wenig.

 Nun möchte ich dir noch erzählen über Fastnachten in Brasilien, denn wenn wir auch am Fasnachtsmontag nur Dienstag gearbeitet haben, so habe ich denn noch nicht versäumt mir den Rummel anzusehen.

 Wenn wir am Samstag, Montag und Dienstag gearbeitet haben, so war dies einmalig in der

Geschichte von Monlevade. Laut Direktionsbeschluss sollte die Arbeit Montags noch mal und Dienstags freiwillig aufgenommen werden. Da ich jedoch Annahme, dass auf der Nachtschicht kaum eine lebende Seele erscheinen würde, so verteilte ich alle Schichten auf Früh- und Mittagsschicht und gab so jedem die Gelegenheit zur Arbeit zu kommen und dennoch Abends Fasching zu feiern. Die erzielte Leistung war jedoch sehr sehr dünn.

 am Freitag erhielt ich dazu Besuch von Albert Heinen aus Gonvernador-Valadares [Governador Valadares] Chef der Zuckerfabrik, welche ebenfalls der CSBM [Belgo Mineira] gehört. Zusammen in Aachen und auf einem Zimmer in der Gartenstrasse bei Frau Becker gehaust, da kannst Du Dir denken, dass es mit der Reihe und der Pflege über die Karnevallage Essig war. Heute morgen vier Uhr ist Albert wieder in die Wildnis zurück und hat mir jedoch einen grossen Wunschzettel zurückgelassen über Aufträge, welche ich ihm bis zur Ernte des Zuckerrohres, Beginn Juni, besorgen soll. tagsüber auf der Jagd nach diesen Lieferanten, Bruch der Schere, Besuch der General-Direktion Herr Hein und Fasching. Wer soll da den richtigen Faden finden. Einladung bei Familie Hein zum Abendessen. Einladungen rechts und links. wir haben manches Glas Bier zusammen getrunken, doch alle Abende waren im Sozialklub ein richtiges Freundschaftstreffen. Es wurde getanzt und “lance perfume” [lança perfume] vergeudet, doch keine Reibereien und keiner ist aus der Rolle gefallen. So ein Fasching ist ein andauerndes Absingen von Karnevalliedern und Tanzen im Kreis oder im Kardon eine dauernde “Polonaise”.

Ich schliesse für heute mit einem dicken Kuss für meine Elly, Bomi und Roby. Gute Nacht

Emile