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Monlevade, den 21. März 1955

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Liebe Elly! Liebe Bomi! Lieber Roby!

 Heute ist Frühlingsanfang zu Hause, ich kann mich jedoch auch irren, doch in ganz ferne Erinnerung dürfte meine Annahme doch stimmen. Das urkomische in diesem Lande, wo wir Europäer uns nie mit abfinden können, das ist das Fehlen jeder Trennung der Jahreszeiten. Hier gibt das keinen Unterschied oder besser gesagt keine Anteilnahme der Natur zur Bestimmung der Jahreszeiten. Wir gehen jetzt in den Herbst über. Kein Mensch nimmt Notiz von diesem Wechsel. Wenn der Kalender nicht wäre, so würde keine Seele daran denken, bald kommt der Winter. Genauso sind die Menschen. Alles lebt in den Tag hinein. Ein Jahr, Jahre, sie fliessen fort, sogar die sonst immer bekannte Regenperiode, auch sie bleibt aus und die guten Ratschläge: “Zwei Regenschirme kaufen, einer genügt nicht!! Wenn es regnet, dann giesst es, wie mit dem Eimer geschüttet, Tage lang.” Gar nichts, denn meine Regenschirme hängen, einer im Büro und einer auf der Bude und gebraucht habe ich keinen. Hier kann nur ein Spruch beruhigen und zwar der von Herrn Lobeck, der gute Mann lebt heute auch nicht mehr, doch abends wenn er ins Casino kam, sich seufzend in den Stuhl fallen liess und sagte: “Es stimmt etwas nicht mehr im Kosmos”, wenn dann alles, Philister und krummes Gesocks, ernste Mienen aufzog, dabei konnte das krumme Gemüse (das fahren wir), kaum das Lachen verbeissen, so dürfte heute doch der Lobeck’sche Spruch wahr sein: “Es stimmt etwas nicht mit dem Kosmos”.

Ich schmore heute abend (Montag) meine Zigarre und denke, das was Du heute erledigst, das sollte doch bereits gestern geschehen. Weshalb war denn nicht so? Nun, da möchte ich weiter zurückgreifen. Meine Gewohnheit war es bis jetzt samstags nachmittags, nach dem Mittagessen, es gab eine “Fejouada” [feijoada] mich aufs Ohr zu legen. Was ist “Fejouada”? ich glaube dieses Gericht bereits einmal beschrieben zu haben. Es ist für Brasilien was 4 ein Krebsgericht nennen, hat aber mit Krebsen nichts zu tun. “Braune Bohnen mit Wochenrevue.” Schweissfüsse, Zunge und noch so Zeug vermischt mit braunen Bohnen in noch dunklerer Sauce, in einem Tonkopf serviert. der Tonkopf mit einem schneeweissen Tuch kunstgerecht eingeschlagen, damit das Zeug nicht kalt wird bei der Bullenhitze. Das schneeweisse zulässt oben einen Schlitz offen, damit man den schlangenfrass auch aus dem Topf Löffeln kann. Ein brasilianisches Leibgericht und ich habe mich schon so eingebürgert, dass ich mich jedes Mal an dem Zeug vergesse. Ob dies jetzt das Fleisch ist oder die Musik, es ist schlimmer wie Krebse und am Samstag trotz “Kachass” [cachaça] aus dem Schläfchen wurde nichts, ich musste auf das Werk. “Ausprobieren Von zwei Filter zur Reinigung des Kühlwassers für die Rev. Strasse vor Jahren war diese Filter-Anlage schon Drama und das Drama ist immer noch nicht gelöst.

Bei Regenperiode erhalten wir Kühlwasser, mehr Dreck wie Wasser. Nein, das Drama geht weiter.

 Anschliessend eine Flasche Bier, dann Portugiesisch, dann Nachtessen, letzteres nur schiel(?) beguckt, dann ins Bett. Morgen wird geschrieben! So ein Sonntag bietet so viel Zeit zum Schreiben!

Sonntag früh! Aufstehen 8 Uhr. Bad. Rasieren. Kaffee. 9 Uhr Messe. (Stehplatz.) Bettler. Kasino.

Herr Huth. Gespräch. Einladung zur Piscina auf Schleifstein (Motorrad). Einspruch von Herrn Ronkard [Ronkar]. “Sie werden doch nicht auf dem Sozius zum Klub fahren, unmöglich. Kommen Sie mit mir, das können sie mir nicht antun.” Also fahre ich im Lieferwagen mit Herrn Ronkard. Ein Coca-Gin und 12:00 Uhr Heimfahrt. Keine Einladung zum Churasko [churrasco] von Familie Engel kann mich abhalten, denn ich will den Sonntag benutzen zum Schreiben.

 Mittagessen: Cameron [camarão] (Krevetten, grossformat) mit Kartoffelsalat viel Mayonnaise, Tomatenscheiben, zwei Scheiben hartgekochte Eier als Platte dann d.h. gegessen wurde a und Tomate, dann Poulet mit Kartoffelpüree,Reis, Bohnen, schnittbohnen, dann Kuchen mit Pudding gefüllt, Aufguss Schnaps. Kaffee.

Frau Kayser hat nur ein Auge auf meine kulinarische Tätigkeit, denn wenn eine nicht angerührte Platte zur Küche von mir zurückkommt, so denkt die gute Dame steht, ich wäre krank.

Nach dieser Mahlzeit war ich binnen 24 Stunden tatsächlich zum zweiten Male krank wegen Überfütterung!

 Anschreiben war nicht zu denken. Also ruhen!

 Vier Uhr wird angeklopft. Ein Korb mit 100 Mandarinen wird Herr eingereicht. Einkauf vom vergangenen Sonntag. Das mache ich mit dem Zeug, wo ich doch bereits die Maul- und Seuche davon geerntet habe?

Umziehen, eine Flasche Wasser kaufen um den Durst zu löschen und dann Schreiben.

Am Telefon Parterre steht Herr Hellbrügge und noch ein deutscher namens Sanden, beide von der DEMAG. Hellbrügge früher Wissenschaftler auf der Uni in Zürich ist heute Ing. conseil der Belgo-Mineira, wegen Erblasen

vom Stahl mit Sauerstoff. Herr Hellbrügge hat die ersten Versuche dieser Art durchgeführt, doch die Amerikaner haben sich die Geschichte patentieren lassen. Die B.M. [Belgo Mineira] Hofft an der bezahle Rey für dieses Patent vorbei zu kommen.

 Kurzum, ich war festgenagelt. Aperitif, Abendessen, Kino, Klub um 12 Uhr ins Bett.

 Montag wurde dann auf der Hütte mit den notwendigen Überraschungen auf gewartet und erst am Montagabend führte ich dann mein Vorhaben aus d.h. Ab Pass in Telefon im Parterre wurde Dienstag morgen geschrieben, denn mir wurde auf einmal weich und so elend, dass ich Abstoppen musste. Heute morgen geht es wieder besser. Ich schreibe dies der Esserei, man kann schon sagen Fresserei zu und jetzt führt das auf auch wenn die Frau Kayser die vollen Schüsseln wieder zurückbekommt.

Auf dem Werk ist schlecht schreiben, denn hier fehlt die Ruhe.

Liebe Elly! ich schliesse deshalb für heute mit einem dicken Kuss, auch für Bomi und Roby.

Alles Gute wünscht

Emile

P.S. ich habe auch einen Brief von Familie Clenirui(?) bekommen. Sage bitte vorerst “Besten Dank”.