Monlevade, den 28. Juli 1955



Liebe Elly! Liebe Bomi! Lieber Roby!
Donnerstag Abend und die Woche bald zu Neige, damit auch wieder ein Monat. Brief habe ich keinen bekommen, Liebe Elly, doch was nicht ist, das kann noch werden. Ich weiss dass zur Zeit keine Zeit zum Schreiben bleibt, denn jetzt beginnt das Kapitel Reise und das Entsetzlichste, das sind die Formalitäten. Allein dieser Zinnober, der lässt auch an Verzweiflung bringen. René Wagner ist ein Kapitel für sich ohne den anderen Rest.
Ich bin gespannt zu hören, wie sich alles entwickelte und ob die Nerven unserer Elly so stark waren, dies alles zu schmeissen. Die Lust am Reisen ist mir vergangen und warten wir einmal ab ich glaube mit Elly, Bomi und Roby ist es bald genau so. Die Patientia lernt man ja hier kennen und dieselbe wird fleissig geübt. Letzter Brief Nr. 68 und das Buch über Parisliste sind eingegangen. Herzlichen Dank, Liebe Elly! Wie Roby’s 2e Bac sich abwickelte, darüber werde ich vielleicht etwas im nächsten Brief erfahren. Leider sind schon 15 Tage seit dem Telegramm von Roby verstrichen und wir hatten Eucharistischen Kongress.
Wenn man bedenkt, dass ein Flugzeug von Rio nach Paris heute nur 24 Stunden braucht, so kommt man sich vor, wie am Ende der Welt lebend. Viel besser ist es auch nicht!
Der Monat geht zur Neige. Die Trockenzeit hat so richtig begonnen. Jede Tonne wird hier regelrecht zusammengestohlen, doch etwas über 10 000 To werden wir auch in diesem Monat erreichen. Es ist ein wahres Trauerspiel, doch die C.S.B.M [Belgo Mineira] braucht Geld. Die Tonne Blech 600 x 3 wird für 6500 Cr verkauft x 0,66= 4300 b. frs. Zu Hause wird für 1 To dieser Ware 5700 b frs. erzielt. Da soll noch einer behaupten das Geschäft bleibt, dabei dürfen nur 2400 To an der Reversier Str. gewalzt werden, da es an Absetzmöglichkeit fehlt.
Doch weshalb graue Haare, die habe ich sowieso. Wir stellen jetzt Preisliste auf, welche nicht angewandt werden kann, denn die Nachfrage regelt den Verkaufspreis und so wurschteln wir weiter. Es werden auch einmal andere Momente kommen und diese erwartet man nach der Präsidentenwahl.
Das Leben geht weiter. Gestern habe ich ein Stück von einem Krockodill d.h hier Jaguaret [jacaré] genannt, gegessen. Es waren zwei Stücke vom Schwanz. Das Tier muss über hundert Jahre alt gewesen sein, 1m 90 lang und Schwanz und Füsse kochten 5 Stunden zum gar werden. Das Fleisch, weiss, schmeckt wie Zwischending von Kalbfleisch und Fisch, doch man darf beim Essen nicht an das Tier denken. Hier in Brasilien wird alles gefüttert und es läuft auch jeder mit so einem Schiessprügel in der Landschaft herum. Die wenigsten haben einen Waffenschein, doch was kraucht und fliegt wird abgeknallt und die Tiere ziehen sich
immer mehr in die Wildnis zurück.
In der Gegend der 5 See-e hat die Regierung bereits ein Schutzgebiet mit Wächter gebildet, dies etwa 35 km Luftlinie von Monlevade, damit die Tiere einen Schlupfwinkel haben. Die Leidenschaft zur Jagd ist bei diesem Volk so gross, dass einer alles vergessen kann. Alles ist gut zum Essen, sogar Schlangen, doch ein Reh rührt keiner an. Das Tier wird mit einer Meute Hunde zu Tode gehetzt, dann niedergeknallt und den Hunden zum Fressen hingeworfen. Dagegen ist ein Wild-schwein eine Leckerei, denn wenn so ein Keiler gesichtet wird, dann die Kohlenbrenner alles liegen und jagen, oft 3-4 Tage und bei Jagdglück wird genau so lange gefüttert mit Zuckerrohrschnaps und dann denkt man wieder an die Kohlenmeiler.
So ist das Leben, voll Launen und Kachass [cachaça], und damit soll einer Lorbeeren ernten. Die Frau ist heute noch mehr oder weniger Sklavin und sorgt für alles, auch für reichen Kindersegen.
Doch Liebe Elly! Ich weiss nicht, ob diese meine Anführungen heute noch viel Interesse erwecken, denn nach knapp zwei Monaten werden wir uns auf diesem Kontinent treffen, so Gott will. Wir werden noch einige Briefe wechseln und dann können wir uns wieder zusammen unterhalten und vieles unendlich austauschen, was schlecht zu Papier gebracht werden kann.
Ich schliesse für heute und einen dicken Kuss für Dich, Bomi und Roby, wünsche Erfolg in allen Reise-Vorbereitungen, betrachte diesen Brief als Einleitung und Fortsetzung nach Erhalt Deines Briefes
Emile