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Monlevade, den 16. August 1955

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Liebe Elly! Liebe Bomi! Lieber Roby!

Briefe 70 und 71 angekommen. Herzlichen Dank, Liebe Elly. Leider kann ich erst heute beantworten, da ich heute vor 8 Tagen auch die Brief legte und heute am 16. August wieder auf den Beinen bin. Das Klima hier mit dem Wechsel von tagsüber heiss und nachts frisch scheint die Ursache eine “Ciatik” gewesen zu sein. Ich Weiss nicht, ob das Wort richtig geschrieben ist, doch egal, denn es ist eine ganz schlimme Krankheit. Ich lag im Bett und konnte keine Bewegung machen, weder mit den Beinen noch mit dem Körper, denn jede Bewegung löste einen unheimlichen Schmerz aus. Es gabe einen Stich vom Rücken bis in den kleinen Zeh, entsetzlich.

Noch hilfloser wie ein kleines beschissenes Kind.

An ein Aufstehen war nicht zu denken selbst bei den unmöglichsten akrobatischen Versuchen konnte sich nicht mehr auf die Beine.

Heute geht es nun doch wieder so weit, dass ich mich bewegen kann und ich verliess fluchtartig das Zimmer, wo ich diese bitteren Stunden verlebte. Ich schreibe nun schnell diese Zeilen, damit Ihr euch keine Sorgen macht. Es geht mir viel, viel besser. Heizkissen  und Pillen.“JRGAPIRIN” (Schweizer Medikament) halfen mir wieder auf die Beine und Familie Kaiser, welche mich sehr gut betreute gab mir breite Bunden, welche den Rücken fest zusammenziehen und so kann ich wieder munter

 Beschäftigung nachgehen. Wie ist es doch so deprimierend, wenn man nicht mehr auf die Beine kommt im aufs Töpfchen zu gehen. Schrecklich, wenn ich hierbei an eine Nacht denke. Doch nun ist alles wieder gut und ich bin froh, denn was wäre dies geworden, wenn ich nicht nach Rio hätte kommen können, wo doch meine ganzen Gedanken bereits bei dieser Reise sind. Man soll sich nie vor der Zeit auf etwas freuen. Dies ist jedoch nicht Deine Ansicht, Liebe Elly, denn Du behauptest ja immer, Vorfreuden sind schöner, als die Hauptangelegenheit.

In diesem Falle denke ich jedoch immer mit grosser Sorge an Eure grossen Reise- Vorbereitungen und ich habe immer den frommen Wunsch: Möge doch, Elly, bei dieser grossen Auswanderung, keine zu grossen Enttäuschungen erleben und helfe Gott, dass alles sich ohne Unbekannte abwickelt. Denn ohne dies alles, ist solche Fahrt schon grosses Opfer. Ein Opfer, von dem die hohe Direktion in Lux und Belo, sich keinen Begriff machen kann.

Wir werden uns später hierüber mündlich unterhalten und auch einigen. Nach Ablauf einer gewissen Zeit in diesem Lande werden wir Schlüsse ziehen und abstimmen. Die Majorität wird entscheiden.

Nach diesem Brief, werde ich wohl noch ein oder zwei Mal schreiben können, doch ich wünsche jetzt schon eine gute Reise. Hoffentlich ist die Kabine auf dem Schiff nicht zu klein und ungemütlich , sonst liebe Elly, versuche eine bessere Einquartierung. Nimm Geld mit, damit Du, selbst mit Nachzahlung, eine angenehme Wohnung für die Reise erzielen kannst. Hoffentlich ist das Meer ruhig, damit die Nussschale von 12 auf 20 nicht zu stark schaukelt. Denke an die Pillen für Seekrankheit “Dramannie” oder besser “Vasana” (Schweizer Produkt) und lasst Euch auf dem Schiff 

an nichts fehlen. Die Geschichte mit dem Auto, dass man eine Import-Lizenz haben muss, kann mir nicht eingehen. Alle behaupten, dass ein Wagen als Umzugsgut ohne weiteres mitgebracht werden kann. Uebrigens wurden doch dieselben Angaben mir von Rio über die Zentrale in Belo durch gegeben. Gute Reise! Und bitte keine Tränen fliessen lassen, denn wir werden diese Zeitspanne hier in diesem angeblich reichen Lande mit in Wirklichkeit so dünnem Standard einmal hinter uns haben und sind dann um eine Erfahrung reicher. Hoffentlich ist der Tribut den wir dafür zahlen müssen nicht zu gross. Noch nicht so lange, da unterhielt ich mich mit einer Schweizerin Mme Steuble. Eine Dame welche schon viele Jahre hier in Monlevade ist und welche nie mehr daran denkt ein anderes Land aufzusuchen, da nach ihrer Ansicht “Paradies”, wenn nur die Sinteranlage mit ihrem Lärm und Staub nicht wäre.

Liebe Elly! Ich schliesse nun diesen Brief mit meinen besten Wünschen. Du siehst, dass das Schreiben noch schlecht geht und ich bitte diese “Hierogliephen” zu entschuldigen.

Auf Briefe Nr 70 und 71 komme ich später zurück. Ich wünsche dir noch alles Gute.

Einen dicken Kuss für Dich, Bomi und Roby

Auf ein baldiges glückliches Wiedersehen.

Emile