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Monlevade, den 5. September 1954

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Monlevade, den 5. September 1954

Liebe Elly!

Sonntag! Kichgang mit gestörter Andacht, da ~ 10 Schwälbchen während dem Gottesdienst durch die V Konstruktion schwirrten und dabei Tji! Tji! genau wie zu Hause. Wahrscheinlich waren es schöne Grüsse, viele, viele, schöne  Grüsse von Hostenbach, welche mir von den Tierchen mitgebracht wurden oder sind die Schwalben noch nicht verzogen? Nach deinem Bericht sind die Hirsche in Nordrhein-Westfalen bereits nach den Süden  aufgebrochen.

Draussen herrscht trübe Stimmung. Das Pirassikaba[Piracicaba]-Tal ist voll Nebel oder Dunst oder Rauch. Man kann nicht sagen was es genau ist. Vielleicht alles zusammen! Im Staate Minas herrscht noch eine indianische Sitte “Feuer anzünden” [Botafogo?!].

Vor der Regen-Periode werden überall die Hügel angezündet. Das Gras vom Vorjahr wird abgebrannt, damit das junge Gras aufkommen kann. was dann an Strauch Baum oder sonstigen Wachstum vorhanden ist, das verbrennt mit. Daher auch die trostlose Wildnis von Rio bis zum Urwald d.h.  weitere 100 bis  200 km wie Monlevade.

das abgebrannte Gras soll in Form von Asche neue Nahrung geben für junge Vegetation, doch dann setzt der Regen ein und Schwimmtasche Mutterboden in die Täler zu den Flüssen.

3 Monate bin ich jetzt hier am werken und noch ist kein Tropfen Regen gefallen. So etwas kann man sich nicht vorstellen. Staubige Strassen, da keine Strassendecke. Füsse immer schwarz d.h.  gelb und viel Strümpfe waschen

Die Füsse selbstverständlich auch. Wenn ich dabei an die Überschwemmungen und den verregneten Sommer von zu Hause denke, so kann man sich nur wundern. Was den 3/4  Strumpf betrifft, so kannst du denselben beruhigt nach hier mitgeben, denn auch den langen Strumpf benutze ich stets nur als Kniestrumpf und wenn Ihr in einem Jahr die Reise nach hier durchführt, so besorge mir noch einen zweiten. Ich werde dir zu gegebener Zeit mitteilen, ob der erste nach Mass in Ordnung geht.

Die Bildchen im Brief Nr 17 haben mir viel Freude bereitet. Leider kann ich keine Bildchen von der Reise senden, da Herr Engel die Filme noch nicht kopieren konnte. wir müssen uns noch etwas gedulden. Hier ist kein Institut, welches die Entwicklungsarbeit fachgemäss durchführen kann. Herr Engel führt diese Arbeit selbst aus und da die Familie noch immer im Casino wohnt und ihr Eigenheim noch nicht beziehen konnte, so dauert es noch eine Weile, bis ich Bildchen bekommen kann. der Umzug konnte noch nicht erfolgen, da Eisschrank und Herd noch immer in Rio in der Zollstelle blockiert sind. Margot und Ulla sind Damen geworden. Wenn ich die Kinder so betrachte, dann merkt man doch, dass man alt geworden ist. Dennoch fühle ich mich nicht so alt. Gesundheitlich geht es mir sehr gut und ich warte jetzt ab, wie Regenperiode und heisse Jahreszeit sich auswirken.

Familie Meyers wird am Dienstag die Reise nach Europa antreten und da Herr Meyers nach meiner Ansicht nicht in Europa bleiben wird, so würde alles was die Familie noch angeschafft hatte in Kisten (30 Stück) im Walzwerk verstaut und es entscheidet sich später, ob nach Europa

Oder nach Belo Horizonte. Meyers werden nach Monlevade nicht mehr zurückziehen.

Im vergangenen Monat lagen die Geschicke des Walzwerkes Monlevade bereits in meiner Leitung und ab Dienstag setzt meine Tätigkeit voll ein. leider fehlt noch immer die Sprachkenntnis, doch behindert mich dies vorerst gar nicht und früh oder spät wird auch hier diese Lücke gestopft.

Die Einklassierung der Arbeiter von sämtlichen Abteilungen ist nach Lohnklassen durchgeführt und am 10 wird sich bei der ersten Lohnung herausschälen, wie diese Angelegenheit aufgenommen wird, ob Zufriedenheit oder das Gegenteil ausgelöst wird.

Wie du mir mitteilst, liebe Elly! Wirst du vom 12 - 19 Sept. bei Tante Cleo und Onkel Hubert in Brüssel sein. ich wünsche recht schöne Ferientage und grüsse mir Tante und Onkel recht herzlich. Ich werde auch einen Brief nach Brüssel aufgeben. es ist für mich eine grosse Beruhigung, dass Onkel Hubert und Tante Cleo viel näher von Hostenbach wohnen, wie ich und Du hier Rat und auch etwas Stärkung in dieser Periode der Trennung finden kannst.

Hier in Monlevade entwickelt sich alles normal. Wir haben jetzt Kühlwasser genug. Am 7. September ist Nationalfeiertag der Brasilianer. Geplant war ein Ausflug nach dem Urwald. start Samstag Abend. Übernachtung nach 240 km Fahrt, auf schlechtester Strasse, in einem Kasino der Holzkohlengewinnung. Fahrt auf einem Fluss durch den Urwald. Übernachtung auf Zeltplanen im Freien. Die Fahrt auf einem Boot (ausgehohlter Baumstamm) mit 10-15 Personen. stechmückenplage. Karabatten bepickt, das alles ist nichts für so einen alten Knaben wie mich und ich bin ja auch nicht nach hier gekommen um

Forschungsreisen zu machen. Wenn diese Fahrt einmal übernommen werden soll, dann erst dann wenn Du mit dabei sein kannst, liebe Elly!

Diese Tage dienen der Ruhe und zur brieflichen Unterhaltung mit Euch allen.

Das Land hat sich nach dem Tod von Getulio Vargas wieder beruhigt. Ob es ruhig bleibt, das kann ich noch nicht sagen. Hier in Monlevade war von einer Unruhe nicht zu erkennen. Das Leben nahm seinen normalen Gang, aber in anderen Städten war die Stimmung nicht rosig. wir wollen jetzt abwarten, ob die neue Regierung bessere Leistung aufweisen wird und die Inflation auffallen kann. Am Freitag war in dem grössten Industrie-Zentrum von Brasilien in Sao Paulo General-Streik angesagt mit dem Motto “Die Regierung soll die Preise stabil halten.”

Der Streik hat nicht die von den Anführern erwarteten Ausmasse bekommen.

und so geht es weiter! Das Leben ist ein Kampf und nur ein schönes Familienleben ist der Hort, wo alles leicht überbrückt werden kann.

wenn die grossen Geschäftemacher und Gangster das Handwerk gelegt bekommen hier in Brasilien, dann geht es besser, doch heute ist es so: “Wer am Weihwasserkessel ist, der segnet sich.” so war es bei Getulio mit seiner Garde, Familie etc. und wird es nicht genauso werden mit der Nachfolge? Ist es nicht genauso in allen Ländern?

Ich schliesse für heute mit Küssen für dich! Liebe Elly! Bummi und Hobby und danke für alle Mitteilungen aus lautem(?) Kreise und vom alten Kontinent. Schönen Dank für die Schreiben von Bomi und Roby. die beiden Freunde sind abgereist, lieber Roby, doch werde ich später versuchen Dir Deinen Wunsch zu erfüllen.

Emile

Anbei Ansicht von  Belo Horizonte mit Staat, welche erst 50 Jahre alt ist.