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Monlevade, den 11. März 1955

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Liebe Elly! Liebe Bomi! Lieber Roby!

Einen grossen langen Brief Nummer 47 habe ich am Mittwoch bekommen. Recht herzlichen Dank, liebe Elly!

 die Ausschau nach dem Briefträger und das schmerzliche warten auf eine Nachricht, dass hat mir jedoch Gewissensbisse bereitet. Trotz Besuch von Heinen Albert mit seinen vielen frommen Wünschen und trotz Bruch der Blockstrassenschere musste ich geschrieben haben und wäre es auch nur ein Telegrammstiel gewesen. doch Haare darf ich mir keine ausreissen, denn das Kalb wird immer dünner, so bleibt nur die Reue. Es ist dies aber auch das einzige, worüber ich mir Vorwürfe mache. Herr Kloos war mit seiner Familie über die Karnevaltage nach Sao Paulo vereist und Paul Herriges mit Frau, jung verheiratet, sprachen dem Fasching tüchtig zu und so habe ich am Montag und Dienstag die Stange gehalten. Heinen Albert und ich, wir versäumten vom Fasching auch nichts, doch am Morgen zwischen 7 und 7:30 Uhr fuhren wir zum Werk und am Mittag ohne Mittagsschläfchen genau so, denn jeden Tag besichtigte Heinen eine andere Werksanlage, da er von Monlevade nichts kannte. Bei seinem ersten Besuch in Monlevade, das stand hier ausser der Fazenda gar nichts und in der Fazenda hauste der Botaniker Luja, welcher damals Versuche mit Eukalyptuspflänzlingen durchführte. Luja ist später auf dem Limpertsberg in einer Mansarde verfroren, da er kein Geld hatte Kohlen zum Heizen einzukaufen.

Dieser grosse Wissenschaftler arbeitete für die Holländer und den holländischen Kolonien und hatte durchaus Pflanzung von brasilianischen Kaffeesorten daselbst die ganze Kaffeekultur gerettet, denn alle Kaffeepflanzen in holländisch Indien waren entartet und der Ertrag gleich null. Der holländische Geiz liess jedoch nicht zu, dass Luja eine Rente ausgeworfen wurde und die luxemburgische Regierung zahlte auch nichts, da Luja bei den Holländern gearbeitet hatte und die Familie ziemlich gut gestellt, half auch nicht, da ja hier nichts zu erben war. So geht es im Leben!

Ich glaube in einem vorhergehenden Briefe ziemlich über Fastnacht Berichte zu haben und füge nur hinzu, dass ich keinen sauren Hering gebraucht habe. Den Rosenmontag- und Dienstagzug verbrachte ich auf der Hütte, doch Schnee breiten hätte ich gerne miterlebt.

Das Gespenst streikt, dazu mit politischem Hintergrund hat also das Saargebiet auch gepackt, dazu in der Karnevalwoche. Über Huwig wunderte ich mich nicht, denn dumm wie “Schifferscheisse” hat der gar nichts zu gelernt und mit dem Deckmantel Sozialist ist derselbe heute noch der grösste Kommunist von Hostenbach und Umgebung. Es würde mich gar nicht wundern, wenn er ein zweites Mal fliegen würde. Deine Ausführungen, liebe Elly! waren sehr aufschlussreich und wenn es mit Tränengas- und Wasserschlauchoperationen herging, so hat diese Demonstration bestimmt auch noch andere Hintergründe gehabt und die Regierung wollte es nicht so weit kommen lassen. In der jetzigen politischen Atmosphäre in Europa und besonders an der Saar, da ist vieles möglich. Nicht nur die Kommunisten sind hier am Werk, wahrscheinlich auch die Super-Nationalisten.

Die Stimmung bei uns hier war auch nicht rosig, doch ist mit Genehmigung der neuen Prämien ein anderer Geist bei uns eingezogen. Hoffentlich bleibt es dabei!

 Viel haben wir jedoch in um umgestossen, denn die Rev. Strasse steht wegen Reparatur des Stossofens genannt “Williams-Ofen”. solch ein Monstrum von offen habe ich noch nicht gesehen. 8 Meter breit, 26 Meter lang, mit Hängedecke. Jeder Stein hängt in einer Klammer und diese Klammer in einem dünnen 60er Träger (60 mm Steghöhe) Punkt durch diesen Ofen werden Platten von 600 breit 75 dick und 7,5 m lang durchgedrückt. Jeder Platte wiegt 2,5 Tonnen.

 an diesem Ofen haben wir jetzt 8 Tage repariert und morgen um 11 Uhr kommt Holzkohlenfeuer hinzu zum Trocknen, während vier Tagen Anheizen.

Wir haben die Arbeit mit grosser Gewissenhaftigkeit durchgeführt und wenn uns beim Anheizen nichts passiert, so können wir ab Mittwoch wieder mit dieser Strasse walzen. Höchste Zeit, denn diese Woche werden wir kaum 1800 Tonnen fertige Ware erzielen und die Rohrfabrik hat kein Blech mehr für ½ und ¾ Rohre. Ein grosser Regiefehler!

im vergangenen Jahr dauerte diese ofenreparatur 36 Tage, allerdings wurde damals der Herd mit Brammen ausgelegt und frisch gemauert.

Der Ofen der Galvanisieranlage ist auch schlecht und wird am 26 ausser Betrieb gesetzt. Du siehst also liebe Elly! dass ich nicht auf Rosen gebettet bin und die Sorgen werden nie alle, dazu drückt die Sonne, die Luft ist schwer und als Folge: alle Menschen sind elektrisch geladen, man muss so vorsichtig sein, damit es zu keiner Entladung kommt. Vorerst brauche ich in dieser Hinsicht jedoch noch nicht zu klagen.

Letzte Blätter von 2 Block. Wenn ich nicht vorgesorgt hätte, dann wäre es mit meiner Epistel aus und wenn ich die Schreibblocks so betrachte, dann sage ich mir: “Du hast doch schon allerhand Bogen mit Erlebtem und beobachteten nach Europa gesandt.”

Das verhindert jedoch nicht, dass ich mir Vorwürfe mache über die grosse Spanne im Februar. Dazu möchte ich nicht versäumen, dass Deine Leistung im Briefe schreiben hier besonders notiert sein soll, denn Liebe Elly! Beim Betrachten der heute auf 47 Briefe angestiegenen Serie, da bekomme ich einen gelinden Schrecken. Doch diese deine Briefe haben mir mein nachgeholfen über so manches leichter hinweg zu kommen und wenn Du denkst an komplizierte Namen, an 12 Fingersprache, so ist dies nicht so schlimm.

Hier werden die Leute nur mit Vornamen genannt, im Volksmund haben jedoch alle einen Spitznamen, doch die lernt man erst nach Jahren kennen, doch nur ja keinen Gebrauch davon machen, dazu lernst Du die Sprache auch viel schneller, da dauernd im Umgang mit hierigen Leuten, während ich nur Luxemburgisch rede und denke. Hier in diesem Lande reden alle mit den Händen, also fällt Deine Fingersprache gar nicht auf.

und nun kommt der Fragebogen an die Reihe! Ausgefüllt? Zusätze!

1) Schrammen auf den Boden, werden mit Teppich belegt.

2) Tapeten können wegen Baratten und sonstigen “Bichon’s” [bichos] nicht angewandt werden.

3) Roby möchte nur “Couch” Kleider und Wäscheschrank. Wunsch kann erfüllt werden, doch ich kaufe nicht gerne ein Stück hier und das andere dort. Soll ich mit dem


 

Kauf warten, bis Ihr hier eintrudelt?

4) Stich’sche Orangenkisten kommen nicht infrage, denn auch für 4 1/2 Jahre, wird der Wig-Wam ordentlich ausstaffiert. Wir wollen uns ein gemütliches Heim einrichten, denn Monlevade bietet wenig Komfort und viel Ärger und zu Hause wollen wir Gemütlichkeit und mit solchen Krätz geben wir uns nicht ab.

Was in Küche und sonstwo fehlt, wird angeschafft. Liebe Elly! Mir kommt da eben ein Gedanke, doch ich weiss nicht ob derselbe durchführbar ist. Wie wäre es, wenn Du einen Inventar machen würdest, doch nein, diese unmögliche Arbeit kann ich Dir nicht zumuten.

Zu gegebener Zeit schreibe ich Dir, was noch hier mitgenommen wird. Inventar habe ich im Kopf, denn ich weiss genau wie unser Heim aussieht und weiss sogar was in den Schubladen liegt. Letzteres mehr oder weniger, doch ich weiss, da ist so viel Zeug, dass sich mir die Haare stellen.

Ich muss Schluss machen, denn allein bei dem Gedanken dieses Umzuges wird mir übel.

Am liebsten wäre mir der Gedanke. Alles irgendwo verstauen und nur Kleider und Bettwäsche mitbringen. Irgendwo muss ja ein Strich gezogen werden.

Lohnt es sich solch grossen Umzug nach dem weiten Kontinent und dann so tief ins Innere vom Minas durchzuführen.

Die Leute, welche alles in einem Rucksack unterbringen, haben doch weniger Sorgen.

Ich schliesse für heute mit einem dicken Kuss und liebe Elly! ich werde noch eine Nacht über diese letzte Seite meines Briefes nachdenken.

Einen dicken Kuss, (?) auch für Omi und Roby

Emile

[Fragebogen von Elly:]

Betr. Wohnung

  1. Sind die kleinen Fensterscheiben aus Buntglas? 
    → Nein!
     
  2. Kann man Druchestoff (coton) f. Gardinden in Monlevade kaufen, ebenfalls Gardinenleisten?
    → Ja und Ja!
     
  3.  Hat das Haus einen Keller? 
    → Nein
     
  4.  Hat das Haus eine Garage? Gross genug? 
    → Ja! Gute Einfahrt doch Ausfahrt und rückwärts mehr Akrobatik.
     
  5.  Kann man im Garten Hühner und Enten halten?
    → Ja! Muss noch eingerichtet werden. Nachteil. Gerüche!
     
  6.  Sie tapeziert oder gestrichen? Eventuell welcher Ton? Und die Küche?
    → Gestrichen! Bitte wähle die Farbe, welche Du für die einzelnen Zimmer wünschst.
     
  7. Woraus ist der Fussboden: Holz, Platten oder Linoleum?
    → Holzboden! Kisten beim Umzug über den Boden geschrüppt. Nägel zogen Fürchen in die Bretter.
     
  8. Sollen die Anbauschränke mitkommen?
    → Nein! Nach Transport wären die Schränke “kümmerliche Wracks”. Solchen Kummer lieber nicht.

Emile

[Punkt 9 von Emile hinzugefügt]
Garage mit Anbau für Personal. Schlafzimmer, Toilette mit Dusche. Bitte wenden!

Unser Schlafzimmer ist eine kleine Kajüte zu verstehen, welche kaum Raum bietet für eine anständige “Couch”. für Kleiderschrank ist kaum Platz. Die Habseligkeiten werden in einer Kiste verstaut.

Das nennt man soziales Gleichgewicht! Keine Hausangestellte schläft im Hause des Inhabers. Die Mädels sind meist Mischlinge über alle Hauttönungen bis zum Tiefschwarzen.

Viele behaupten dass die Menschen dunkeleler Hautfärbung riechen. Wahrscheinlich ist auf der Gegenseite dieselbe Ansicht, dass Menschen helle Haut übel riechen.

Ich persönlich habe in dieser Hinsicht noch keine Feststellungen machen können, da ich noch keine Reise in solcher Gesellschaft machen konnte.

Die Tatsache der strikten Trennung liegt nun einmal vor und dagegen


 

ankämpfen ist unmöglich, doch eines habe ich mir vorgenommen.

Unsere Hilfe bekommt die Nische so sauber garniert mit Schrank und wenn ich die Bude erweitern lassen muss.

Ein sauberes, nettes Heim soll dort werden, wo unsere Hilfe einquartiert wird.

Emile