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Monlevade, den 31. Januar 1955

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Liebe Elly! Liebe Bomi! Lieber Roby!

Heute habe ich Brief Nr 41 bekommen. Besten Dank! Liebe Elly! Deine Briefe, welche jeden Montag mit wenigen Ausnahmen hier ankommen, sind mir immer wieder eine grosse Aufmunterung für die restlichen Tage der Woche und wenn Briefe mit Verspätung einlaufen, so laufe ich stets mit dem Gefühl herum, es fehlt doch etwas!

 Deine Berichte mit Zeitungsausschnitt über Hochwasserkatastrophen in ganz Europa sind schrecklich. Was nun bei solchen Heimsuchungen die Bevölkerung in den Niederungen doch allerhand mitmachen und die Verluste an Menschen und Vermögen, das ist nicht schön. dieses Hochwasser bei niedrigen Temperaturen, als Folge noch sehr viele Krantze(?). Wenn hier die Nächstenliebe nicht ansetzt, dann stehen viele vor dem rein. Wir haben ja auch solche Katastrophe mitgemacht, doch bis jetzt habe ich nichts von dieser Liebe gesehen, es war eher Hass, doch Schwamm drüber!

 Nach Regen hat jetzt der Stern seine Tätigkeit wieder aufgenommen. Im Werk geht es zur Zeit nicht gut. Die Eisenbahn Belo-Monlevade ist noch unterbrochen. Zuerst werden die E.F.C.B. wohl die Dienstlok von ~60 To aus dem Loch schaffen müssen und dann erst kann

aufgefüllt und der Gleisstrang wieder hergestellt werden.

Die S19(?) Öfen gehen hier mit Öl und durch die Unterbrechung kommt kein Brennstoff bei. Die Stahlproduktion hat das Vorrecht und so wurden die S19-Öfen auf hochofengas umgeschaltet und das Walzwerk Blockst. Steht. Die Pits bekommen kein Gas und so ist immer. Hier muss man sich die Tonnen regelrecht zusammenstehlen. Wir werden dennoch an der Blockstr. über 11000 To Prod. kommen und dasselbe ist für die Fertigstrassen der Fall.

 Der Februar macht die Tore auf und ebenfalls die Karnavalszeit [Carnaval]. Wie wir im Februar zu Tonnen kommen sollen, das weiss ich noch nicht. Wie geschildert sind die Leute hier an diesen Tagen toll. Beginn Samstag Mittag 12 Uhr bis Mittwoch früh 6 Uhr. In dieser Zeit wird kein Strich gearbeitet alles tanzt und hopst, Konfetti wird im kg verwertet. Ziele! in gefüllte Gläser, Mund, Augen, Hals etc. neben dem bekannten Firlefanz Hat der Brasilianer noch eine Erfindung. “Kleine Flaschen mit Aether.”Durchdruck auf ein Ventil spritzt ein dünner Strahl im Gesicht und wenn ein Auge getroffen wird, so soll dies unheimlich brennen. Viele Spritzen sich selbst den feinen Strahl in den Mund und die Folge is Aether-Rausch d.h. Verrücktheit in höchster Potenz.

 Mein Vorsatz heisst jedoch: “Vorsicht! so wenig wie möglich am Rummel teilnehmen, Schulung in jeder Hinsicht!” Die Stimmung bei mir ist nicht gerade rosig und erst recht nicht für Karnaval [carnaval]. gestern habe ich an der Drahtstr. das

Getriebe vom 2. Kontum aufdecken lassen und dabei festgestellt, dass an der 7.8. (zwei ersten Geräte dieser Strecke) am komischen Zahnrad von 120 Zähnen 33 Stück gebrochen sind. Es handelt sich hierbei um Cotrom(?) Verzahnung (ehrvron?) V und die Zähne 33 St haben am äusseren Rand die Hälfte von V verloren.

Du siehst also, dass die Zahnräder es besonders schlecht auf mich zu stehen haben. Doch, liebe Elly! Keine Sorgen, denn bei meiner Ankunft hier in Monlevade, da fehlten bereits an demselben Rad 31 Zähne und es wird jetzt Zeit, dass wir an einen Wechsel denken. Halte den Daumen, damit kein Stück zwischen die Zähne kommt, denn dann krachts. Wenn die Karnavalszeit [carnaval] nicht so verrückt wäre, dann würde ich an diesen Tagen den Wechsel vornehmen, doch ich zweifle daran, dass dies eine anständige Arbeit wird.

Am 1. Januar 1957 soll das neue Stahlwerk stehen und dann kommt der kritische Moment für das Walzwerk. Diese Tonnen sollen als Fertigfabrikate herausgehen und die hohe Obrigkeit ist so zuversichtlich, dass wir dieses Programm schmeissen werden d.h. 20000 To und heute haben wir zu kratzen, um die Hälfte dahin zu legen. Man erwartet also wunder und der Hexenmeister, das soll ich sein. In zwei Jahren wird diese Hexerei demnach beginnen und diese ist von vorne rein es sich, wenn Strom oder Öl oder Wasser fehlt, ohne die von mir geplanten Verbesserungen, Neuanschaffungen, welche in zwei Jahren reserviert sein müssen.

 Mit Tempo, wo sich hier alles entwickelt, da darf einem das Herz nicht in die Schuhe fallen.

 Die Zufriedenheit der Arbeiter, wegen Mangel an Wohnhäusern und geringem Verdienst besonders wegen

Niedriger Prämie, lässt sehr zu wünschen übrig. Das Leben ist teurer geworden und die Einstellung der Arbeiter ist die, dass an dieser Entwicklung die “Gringos” Schuld haben. Ich benutze jede Gelegenheit um auf diese Lage hinzuweisen und ich bin gespannt, wann mein Vorschlag auf Einführung des Akkordsystems von Luxemburg, angepasst auf jährige Löhne, angenommen wird.

Hoffentlich rechtzeitig!!

Nach Einführung im Walzwerk werden die anderen Betriebe dasselbe fordern. Es ist mir schade, dass Zentral-ARBED, ich denke dabei an Herrn Schorler (?) und Lallemand, sich nicht mit dieser Angelegenheit befassen können. Ich habe jedoch das Gefühl, dass die Arbeit auch noch für uns kommen wird.

Dies alles nur für uns, denn ich habe das Gefühl, dass unsere Korrespondenz in mündlicher Übertragung anderen Instanzen zugeleitet wird, dies zu schliessen aus einer Bemerkung, welche mir Herr Engel im Laufe eines Gespräches machte. Es kann dies jedoch auch herrühren von einem anderen Brief, den ich an andere Adresse leitete. Vorsicht!

 Und nun noch zur Beantwortung einzelner Fragen Deines lieben Briefes:

Herr Meyers ist in Zentral-ARBED beschäftigt. Herrn Dumont habe ich geschrieben.

Grossherzogin Geburtstag wurde in kleinem Kreise ganz nett im Casino gefeiert. COMSOL ist nicht in Moschee und nicht in Belo. Für Magenbeschwerden denke an “Magnésie bismurée”

Zum Schluss noch einen dicken Kuss für Dich, Bomi und Roby.

Emile